Zuerst einmal, noch ist Palm nicht gescheitert. Aber es sieht düster aus, und das reicht für die folgende Betrachtung aus. Doch was hat Palm und sein Handy-Betriebssystem zu tun mit dem Erfolg von Googles kommendem Laptop-Betriebssystem? Geraten hier nicht einige Dinge durcheinander?
Nein, denn beides ist auf eine fatale Weise verbunden, allerdings sieht man es erst auf den zweiten Blick.
Zwei spannende Dinge sind zu beobachten. Erstens, Palms webOS sah vor, dass die Programme mit HTML5 geschrieben werden, also einer Kombination aus HTML, Javascript und CSS. Auch Googles Chrome OS setzt auf HTML5 als Plattform für Applikationen. Zweitens gab es einen AppStore, wie bei Apple und Google. Das erste ist die Technologie, das zweite ist das Ökosystem. Beides sind kritische Voraussetzungen für den Erfolg der Plattform.

Palm Pré
Wenn man es von einer höheren Warte aus betrachtet: Googles Chrome OS befördert Palms Web-Konzept eine Stufe nach oben in die Laptop-Kategorie. Apple holt ebenfalls sein Handy-Konzept auf die nächst größere Computergattung, in diesem Fall die Tablets.
Und plötzlich haben wir also einen wunderbaren Wettkampf anzuschauen: Googles Netbook mit Chrome OS (mit Palm als Paten) gegen das iPad (mit dem iPhone als Paten).
Der Wettkampf ist deswegen besonders interessant, weil sich die Konzepte fundamental unterscheiden (anstatt sich gegenseitig zu kopieren), und weil es sich nicht auf Smartphones bezieht, sondern auf neue, kleine Computer wie Googles kommende Netbooks, und das ist ja mal was Neues.
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IT'S TIME! IT'S TIME!
Als Google die Entwickler aufrief, in Zukunft voll auf HTML5 zu setzen ("It's time! It's time!"), kam auch ein Mitarbeiter von Palm auf die Bühne und demonstrierte einen sehr schick gemachten Kalender des Palm Pré, der mit HTML5 programmiert worden war. Damals war die Welt noch in Ordnung. Ist sie es immer noch?

Googles CEO Eric Schmidt
So fortschrittlich diese neuen Web-Apps im Vergleich zum herkömmlichen Web auch sind: In den meisten Fällen sind sie einfach nicht so gut wie native Applikationen. Sowohl die Entwickler als auch die Anwender haben entschieden, dass sie native Applikationen vorziehen, und es sieht nicht danach aus, als ob sich das in allernächster Zeit ändern würde.
Vermutlich hat Google das bereits gemerkt. Möglicherweise erklärt das den seltsamen Schulterschluss mit Adobe: Jüngst verteilte man Pressemeldungen, in der zu lesen stand, dass der Chrome-Browser "ab Werk" mit dem Flash-Plugin gebündelt werden würde. Es lebe der Fortschritt! Hurra und Juchhe!
Die Öffentlichkeit war allerdings nur so lange aus dem Häuschen, bis jemand bemerkte, dass auch alle anderen Browser schon immer mit dem Flash-Plugin ausgeliefert wurden, zumindest bei Desktop-Computern und Laptops. Sogar bei Apple. Also warum gibt es dann diese seltsame Pressemeldung? Gerade Google hat doch ein Interesse an der Durchsetzung von HTML5, und die Allgegenwärtigkeit von Flash bremst den Übergang zu HTML5 mehr aus als alles andere (von Steve Ballmer mal abgesehen).
Aber Google hat vermutlich erkannt, dass mit HTML alleine einfach kein Blumentopf zu gewinnen ist, wenn die gesamte Plattform nur dies beherrscht und sonst nichts, und wenn es gilt, gegen Apple zu konkurrieren. Palm hat es probiert und ist gescheitert. Weder genügend Entwickler noch genügend Kunden konnten sich dafür begeistern. Es war einfach nicht gut genug.
Also was soll Google tun? Chrome OS wieder einstampfen? Verschieben auf das nächste Jahrzehnt, wenn HTML5 keine Zukunftsmusik mehr ist?
Ich glaube, Googles hofft darauf, dass es wenigstens ein paar coole Flash-Apps geben wird, sodass die Kundschaft mit den kommenden Google-Netbooks mehr anfangen können, als in der Google-Suche herumzustochern und ihren Freunden mit Einladungen zu Google Buzz auf den Keks zu gehen.
Aber wird das helfen? Der Niedergang von Palm bietet nämlich noch eine weitere Lehre für Google.
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BROTHER, CAN YOU SPARE A DIME?
Die Beschränkungen für die Web-Apps würden nämlich lange nicht so schwer wiegen, wenn es dafür ein Ökosystem gäbe. Bei Palm gab es kein ausreichendes Ökosystem, weil es zu wenige Nutzer gab, aber auch, weil die Programme nicht aufregend genug waren. Ohne Ökosystem keine Apps, ohne Apps keine Nutzer, und ohne Nutzer keine Entwickler. Wie wird es bei Googles Chrome OS sein?
Google weist mit Stolz darauf hin, dass das Web die größte Plattform der Welt sei, weil sie die meisten Anwender hätte. Das stimmt. Punkt für Google.

Chrome OS
Das Dumme ist nur: Das Web ist als Wirtschaftsraum gescheitert. Google gehört zu den fantastischen Gewinnern des Internets, aber eben in der Art, wie jemand den Jackpot im Lotto knackt, während alle anderen leer ausgehen. Jede gute Arbeit, die im normalen Leben einen fairen Lohn erwirtschaftet, muss im Internet verschenkt werden, oder sie findet nicht statt. Man denke nur an den mühsamen Weg der Zeitschriften vom Print-Medium zum Online-Medium. Da werden die tollsten Konzepte erarbeitet und die kühnsten Reden geschwungen – wobei doch jedes Kind weiß, dass diese Art Inhalte im Web total unverkäuflich sind und es immer sein werden.
Wie einladend für die Entwickler ist also Googles Idee, Applikationen als Webseiten zu programmieren? Denn damit steht und fällt das ganze Konzept des Chrome OS.
Auf den ersten Blick klingt es wenig einladend. Aber Google ist im Besitz des einzigen funktionierenden, globalen Ökosystems des Internets, nämlich das eigene Werbenetzwerk. Wieder ein Punkt für Google.
Es ist atemberaubend, was damit theoretisch möglich wird: Eine weltweite Kundschaft, kostenlose Applikationen, und Entwickler sowie Google verdienen sich dennoch eine goldene Nase mit der eingeblendeten Werbung. Das ist eigentlich unschlagbar, richtig? Und niemand kann es ihnen nachmachen, weil niemand ein so großes Werbenetzwerk hat, richtig?
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I WHO HAVE NOTHING
Aber die Profite aus der Werbung sind für alle außer Google so lächerlich winzig, dass sich damit allerhöchstens das Futter für die Katze verdienen lässt. Und eins ist sicher: Diese Katze wird nicht fett.
Und das ist nicht als Witz gemeint. Ich meine es wörtlich.
Hier ist die Wahrheit über die kostenlosen Google-Apps: Der Entwickler offeriert, finanziell gesehen, keineswegs eine Applikation. Sondern er offeriert einen Werbeplatz, und die Applikation ist nur das Vehikel. Aber diese Werbeplätze gibt es im Web in unbegrenzter Menge, folglich ist der Preis so gut wie Null.
Und für Google ist der Anwender nicht etwa der Kunde, sondern er ist das Produkt. Seine Klicks werden verkauft, die Daten werden ausgeweidet, und ansonsten ist der Anwender lediglich eine Art Stopfmasse, vergleichbar mit dem Wurstteig in einer großen Rührmaschine. War der werte Leser hingegen schon einmal in einem Apple-Store? Wow, das ist in der Tat ein Unterschied zu einem Wurstteig.
Google sieht sich wegen der unbeschränkten, allgegenwärtigen Verfügbarkeit des Webs im Vorteil. Das stimmt auch zum Teil. Die Offenheit des Webs spült tatsächlich jede Menge Kunden auf die Webseite (die Applikation) des Entwicklers, aber die Offenheit sorgt gleichzeitig für eine ruinöse Konkurrenz bei den Werbepreisen. Denn es ist letztlich egal, ob jemand monatelang an einer Applikation arbeitet und dort eine Google-Werbung integriert, oder ob er einen Artikel über Wurstteig verfasst und dort ebenfalls Werbung unterbringt. Werbung ist Werbung, und Klicks sind Klicks, und am Ende wird sich wegen der mürben Erlöse nur der allerbilligste Schund etablieren, weil sich alles andere nicht lohnt. Wer sich monatelang bei der Entwicklung eines schönen Programms krümmt, um am Ende eine kleine Google-Werbung anzuzeigen, ist ein Trottel. Da kann er es genauso gut aus dem Fenster werfen oder mal Apples AppStore ausprobieren.

AppStore
Apple bietet den Entwicklern zwar nicht die massenhafte Kundschaft, die mit dem offenen Web möglich wäre, aber es ist dennoch ein Massenmarkt. Und der eingeschränkte Zugang im Vergleich zum Web ist eher ein Schutz als ein Hindernis. Ein Entwickler kann im AppStore ein gutes Programm für 5 oder 10 Euro verkaufen. Das ist nicht viel, aber immerhin. Mal ehrlich: Würden wir im Web 10 Euro für eine kleine Javascript-"Textverarbeitung" ausgeben? Im Web würden wir erwarten, dass es kostenlos ist, richtig?
Zwar hat auch Google ein Verzeichnis von kostenpflichtigen Diensten vorgesehen, aber es gibt bisher keine belastbaren Beweise dafür, dass so etwas von Erfolg gekrönt sein könnte. Alle Erfahrungen mit dem Web sprechen dagegen.
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OH LORD, WHAT SHALL WE DO NOW?
Also welche Hoffnungen kann sich Google machen, dass ihnen nicht das gleiche Schicksal beschieden ist, wie Palm mit ihrem webOS? Wie will Google gegen Apples Cocoa-Apps antreten – mit Javascript? Wie wollen sie gegen Apples Ökosystem gewinnen mit ihrem Gratis-Web? Wie können sie die besten Entwickler überzeugen, dass das meiste Geld ausgerechnet dort zu verdienen ist, wo niemand etwas bezahlt?
Und als wäre das noch nicht genug, greift Apple jetzt im Markt für werbefinanzierte Applikationen an. Damit ist Googles wichtigste Trumpfkarte in Gefahr. Auf dieser Spur lässt sich Apple jedenfalls nicht mehr so einfach überholen.
Wir sehen hier zum ersten Mal, wie Apples iPhone-Ökosystem zur Waffe wird bei einer Gerätekategorie abseits der Handgeräte, nämlich der Netbooks und Tablets. Die Übertragbarkeit ist eine seiner gefährlichsten Eigenschaften. Niemand hat ein derart portables Ökosystem für die neuen Gerätegattungen, noch nicht einmal Microsoft. Man stelle sich vor.
Und so ergibt sich die ganz neue Situation, dass PC-Hersteller, die auf die neuen Märkte der Kleincomputer scharf sind, nicht mehr nur über Microsoft nachdenken, sondern vermehrt darüber, wie sie mit Apples wasserdichtem Ökosystem umgehen wollen.
Google kann sich plötzlich nicht mehr auf seine werbefinanzierten Gratis-Angebote verlassen, denn Apple hält womöglich mit. Microsoft kann sich nicht mehr auf die größte Entwickler-Gemeinde und die meisten Applikationen verlassen, denn Apple hat kurioserweise genau dort den größten Vorsprung. (So weit musste man Microsoft erstmal herunterwirtschaften, das ist ja irgendwie auch eine bemerkenswerte Leistung.)
Nicht nur schlägt Apple seine zwei wichtigsten Konkurrenten mit ihren eigenen Waffen. Mehr noch: Steve Jobs zwingt sie zusätzlich durch sein hohes Tempo auf sein eigenes Spielfeld, auf dem er natürlich die Nase vorn hat und die eigenen Spielregeln diktieren kann. Google wie Microsoft bleibt nicht viel übrig, als Apples Angebote nachzuahmen, und das ist kein gutes Rezept, um die Führung zu übernehmen.

iPad
In der Chefetage von Google wird man sich genau überlegen müssen, warum das Palm Pré gescheitert ist, und ob das Chrome OS womöglich auf eine ähnliche Weise verwundbar ist. Immerhin konnte Palm wenigstens einen Achtungserfolg verbuchen und für eine gewisse Zeit große Aufregung und Bewunderung erzeugen aufgrund des ambitionierten User-Interfaces und der sichtbaren Anstrengung der Ingenieure. Diese Begeisterung kann Google mit seinen nüchternen Web-Apps vermutlich nicht entfachen. Niemand würde vor einem Laden übernachten und sich denken: "Oh mein Gott, ich werde der erste sein, der Google Mail benutzt!" – unter anderem deswegen, weil die Google-Apps für das Chrome OS eben allesamt bekannt und in keiner Weise neu sind.
Natürlich liegt jeder Fall anders und Google ist nicht Palm.
Aber bei einem Punkt bin ich mir sehr sicher: Man kann Steve Jobs nicht übertrumpfen mit einem plumpen Browser und einem Flash-Plugin.
Nein, denn beides ist auf eine fatale Weise verbunden, allerdings sieht man es erst auf den zweiten Blick.
Zwei spannende Dinge sind zu beobachten. Erstens, Palms webOS sah vor, dass die Programme mit HTML5 geschrieben werden, also einer Kombination aus HTML, Javascript und CSS. Auch Googles Chrome OS setzt auf HTML5 als Plattform für Applikationen. Zweitens gab es einen AppStore, wie bei Apple und Google. Das erste ist die Technologie, das zweite ist das Ökosystem. Beides sind kritische Voraussetzungen für den Erfolg der Plattform.

Palm Pré
Wenn man es von einer höheren Warte aus betrachtet: Googles Chrome OS befördert Palms Web-Konzept eine Stufe nach oben in die Laptop-Kategorie. Apple holt ebenfalls sein Handy-Konzept auf die nächst größere Computergattung, in diesem Fall die Tablets.
Und plötzlich haben wir also einen wunderbaren Wettkampf anzuschauen: Googles Netbook mit Chrome OS (mit Palm als Paten) gegen das iPad (mit dem iPhone als Paten).
Der Wettkampf ist deswegen besonders interessant, weil sich die Konzepte fundamental unterscheiden (anstatt sich gegenseitig zu kopieren), und weil es sich nicht auf Smartphones bezieht, sondern auf neue, kleine Computer wie Googles kommende Netbooks, und das ist ja mal was Neues.
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IT'S TIME! IT'S TIME!
Als Google die Entwickler aufrief, in Zukunft voll auf HTML5 zu setzen ("It's time! It's time!"), kam auch ein Mitarbeiter von Palm auf die Bühne und demonstrierte einen sehr schick gemachten Kalender des Palm Pré, der mit HTML5 programmiert worden war. Damals war die Welt noch in Ordnung. Ist sie es immer noch?

Googles CEO Eric Schmidt
So fortschrittlich diese neuen Web-Apps im Vergleich zum herkömmlichen Web auch sind: In den meisten Fällen sind sie einfach nicht so gut wie native Applikationen. Sowohl die Entwickler als auch die Anwender haben entschieden, dass sie native Applikationen vorziehen, und es sieht nicht danach aus, als ob sich das in allernächster Zeit ändern würde.
Vermutlich hat Google das bereits gemerkt. Möglicherweise erklärt das den seltsamen Schulterschluss mit Adobe: Jüngst verteilte man Pressemeldungen, in der zu lesen stand, dass der Chrome-Browser "ab Werk" mit dem Flash-Plugin gebündelt werden würde. Es lebe der Fortschritt! Hurra und Juchhe!
Die Öffentlichkeit war allerdings nur so lange aus dem Häuschen, bis jemand bemerkte, dass auch alle anderen Browser schon immer mit dem Flash-Plugin ausgeliefert wurden, zumindest bei Desktop-Computern und Laptops. Sogar bei Apple. Also warum gibt es dann diese seltsame Pressemeldung? Gerade Google hat doch ein Interesse an der Durchsetzung von HTML5, und die Allgegenwärtigkeit von Flash bremst den Übergang zu HTML5 mehr aus als alles andere (von Steve Ballmer mal abgesehen).
Aber Google hat vermutlich erkannt, dass mit HTML alleine einfach kein Blumentopf zu gewinnen ist, wenn die gesamte Plattform nur dies beherrscht und sonst nichts, und wenn es gilt, gegen Apple zu konkurrieren. Palm hat es probiert und ist gescheitert. Weder genügend Entwickler noch genügend Kunden konnten sich dafür begeistern. Es war einfach nicht gut genug.
Also was soll Google tun? Chrome OS wieder einstampfen? Verschieben auf das nächste Jahrzehnt, wenn HTML5 keine Zukunftsmusik mehr ist?
Ich glaube, Googles hofft darauf, dass es wenigstens ein paar coole Flash-Apps geben wird, sodass die Kundschaft mit den kommenden Google-Netbooks mehr anfangen können, als in der Google-Suche herumzustochern und ihren Freunden mit Einladungen zu Google Buzz auf den Keks zu gehen.
Aber wird das helfen? Der Niedergang von Palm bietet nämlich noch eine weitere Lehre für Google.
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BROTHER, CAN YOU SPARE A DIME?
Die Beschränkungen für die Web-Apps würden nämlich lange nicht so schwer wiegen, wenn es dafür ein Ökosystem gäbe. Bei Palm gab es kein ausreichendes Ökosystem, weil es zu wenige Nutzer gab, aber auch, weil die Programme nicht aufregend genug waren. Ohne Ökosystem keine Apps, ohne Apps keine Nutzer, und ohne Nutzer keine Entwickler. Wie wird es bei Googles Chrome OS sein?
Google weist mit Stolz darauf hin, dass das Web die größte Plattform der Welt sei, weil sie die meisten Anwender hätte. Das stimmt. Punkt für Google.

Chrome OS
Das Dumme ist nur: Das Web ist als Wirtschaftsraum gescheitert. Google gehört zu den fantastischen Gewinnern des Internets, aber eben in der Art, wie jemand den Jackpot im Lotto knackt, während alle anderen leer ausgehen. Jede gute Arbeit, die im normalen Leben einen fairen Lohn erwirtschaftet, muss im Internet verschenkt werden, oder sie findet nicht statt. Man denke nur an den mühsamen Weg der Zeitschriften vom Print-Medium zum Online-Medium. Da werden die tollsten Konzepte erarbeitet und die kühnsten Reden geschwungen – wobei doch jedes Kind weiß, dass diese Art Inhalte im Web total unverkäuflich sind und es immer sein werden.
Wie einladend für die Entwickler ist also Googles Idee, Applikationen als Webseiten zu programmieren? Denn damit steht und fällt das ganze Konzept des Chrome OS.
Auf den ersten Blick klingt es wenig einladend. Aber Google ist im Besitz des einzigen funktionierenden, globalen Ökosystems des Internets, nämlich das eigene Werbenetzwerk. Wieder ein Punkt für Google.
Es ist atemberaubend, was damit theoretisch möglich wird: Eine weltweite Kundschaft, kostenlose Applikationen, und Entwickler sowie Google verdienen sich dennoch eine goldene Nase mit der eingeblendeten Werbung. Das ist eigentlich unschlagbar, richtig? Und niemand kann es ihnen nachmachen, weil niemand ein so großes Werbenetzwerk hat, richtig?
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I WHO HAVE NOTHING
Aber die Profite aus der Werbung sind für alle außer Google so lächerlich winzig, dass sich damit allerhöchstens das Futter für die Katze verdienen lässt. Und eins ist sicher: Diese Katze wird nicht fett.
Und das ist nicht als Witz gemeint. Ich meine es wörtlich.
Hier ist die Wahrheit über die kostenlosen Google-Apps: Der Entwickler offeriert, finanziell gesehen, keineswegs eine Applikation. Sondern er offeriert einen Werbeplatz, und die Applikation ist nur das Vehikel. Aber diese Werbeplätze gibt es im Web in unbegrenzter Menge, folglich ist der Preis so gut wie Null.
Und für Google ist der Anwender nicht etwa der Kunde, sondern er ist das Produkt. Seine Klicks werden verkauft, die Daten werden ausgeweidet, und ansonsten ist der Anwender lediglich eine Art Stopfmasse, vergleichbar mit dem Wurstteig in einer großen Rührmaschine. War der werte Leser hingegen schon einmal in einem Apple-Store? Wow, das ist in der Tat ein Unterschied zu einem Wurstteig.
Google sieht sich wegen der unbeschränkten, allgegenwärtigen Verfügbarkeit des Webs im Vorteil. Das stimmt auch zum Teil. Die Offenheit des Webs spült tatsächlich jede Menge Kunden auf die Webseite (die Applikation) des Entwicklers, aber die Offenheit sorgt gleichzeitig für eine ruinöse Konkurrenz bei den Werbepreisen. Denn es ist letztlich egal, ob jemand monatelang an einer Applikation arbeitet und dort eine Google-Werbung integriert, oder ob er einen Artikel über Wurstteig verfasst und dort ebenfalls Werbung unterbringt. Werbung ist Werbung, und Klicks sind Klicks, und am Ende wird sich wegen der mürben Erlöse nur der allerbilligste Schund etablieren, weil sich alles andere nicht lohnt. Wer sich monatelang bei der Entwicklung eines schönen Programms krümmt, um am Ende eine kleine Google-Werbung anzuzeigen, ist ein Trottel. Da kann er es genauso gut aus dem Fenster werfen oder mal Apples AppStore ausprobieren.

AppStore
Apple bietet den Entwicklern zwar nicht die massenhafte Kundschaft, die mit dem offenen Web möglich wäre, aber es ist dennoch ein Massenmarkt. Und der eingeschränkte Zugang im Vergleich zum Web ist eher ein Schutz als ein Hindernis. Ein Entwickler kann im AppStore ein gutes Programm für 5 oder 10 Euro verkaufen. Das ist nicht viel, aber immerhin. Mal ehrlich: Würden wir im Web 10 Euro für eine kleine Javascript-"Textverarbeitung" ausgeben? Im Web würden wir erwarten, dass es kostenlos ist, richtig?
Zwar hat auch Google ein Verzeichnis von kostenpflichtigen Diensten vorgesehen, aber es gibt bisher keine belastbaren Beweise dafür, dass so etwas von Erfolg gekrönt sein könnte. Alle Erfahrungen mit dem Web sprechen dagegen.
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OH LORD, WHAT SHALL WE DO NOW?
Also welche Hoffnungen kann sich Google machen, dass ihnen nicht das gleiche Schicksal beschieden ist, wie Palm mit ihrem webOS? Wie will Google gegen Apples Cocoa-Apps antreten – mit Javascript? Wie wollen sie gegen Apples Ökosystem gewinnen mit ihrem Gratis-Web? Wie können sie die besten Entwickler überzeugen, dass das meiste Geld ausgerechnet dort zu verdienen ist, wo niemand etwas bezahlt?
Und als wäre das noch nicht genug, greift Apple jetzt im Markt für werbefinanzierte Applikationen an. Damit ist Googles wichtigste Trumpfkarte in Gefahr. Auf dieser Spur lässt sich Apple jedenfalls nicht mehr so einfach überholen.
Wir sehen hier zum ersten Mal, wie Apples iPhone-Ökosystem zur Waffe wird bei einer Gerätekategorie abseits der Handgeräte, nämlich der Netbooks und Tablets. Die Übertragbarkeit ist eine seiner gefährlichsten Eigenschaften. Niemand hat ein derart portables Ökosystem für die neuen Gerätegattungen, noch nicht einmal Microsoft. Man stelle sich vor.
Und so ergibt sich die ganz neue Situation, dass PC-Hersteller, die auf die neuen Märkte der Kleincomputer scharf sind, nicht mehr nur über Microsoft nachdenken, sondern vermehrt darüber, wie sie mit Apples wasserdichtem Ökosystem umgehen wollen.
Google kann sich plötzlich nicht mehr auf seine werbefinanzierten Gratis-Angebote verlassen, denn Apple hält womöglich mit. Microsoft kann sich nicht mehr auf die größte Entwickler-Gemeinde und die meisten Applikationen verlassen, denn Apple hat kurioserweise genau dort den größten Vorsprung. (So weit musste man Microsoft erstmal herunterwirtschaften, das ist ja irgendwie auch eine bemerkenswerte Leistung.)
Nicht nur schlägt Apple seine zwei wichtigsten Konkurrenten mit ihren eigenen Waffen. Mehr noch: Steve Jobs zwingt sie zusätzlich durch sein hohes Tempo auf sein eigenes Spielfeld, auf dem er natürlich die Nase vorn hat und die eigenen Spielregeln diktieren kann. Google wie Microsoft bleibt nicht viel übrig, als Apples Angebote nachzuahmen, und das ist kein gutes Rezept, um die Führung zu übernehmen.

iPad
In der Chefetage von Google wird man sich genau überlegen müssen, warum das Palm Pré gescheitert ist, und ob das Chrome OS womöglich auf eine ähnliche Weise verwundbar ist. Immerhin konnte Palm wenigstens einen Achtungserfolg verbuchen und für eine gewisse Zeit große Aufregung und Bewunderung erzeugen aufgrund des ambitionierten User-Interfaces und der sichtbaren Anstrengung der Ingenieure. Diese Begeisterung kann Google mit seinen nüchternen Web-Apps vermutlich nicht entfachen. Niemand würde vor einem Laden übernachten und sich denken: "Oh mein Gott, ich werde der erste sein, der Google Mail benutzt!" – unter anderem deswegen, weil die Google-Apps für das Chrome OS eben allesamt bekannt und in keiner Weise neu sind.
Natürlich liegt jeder Fall anders und Google ist nicht Palm.
Aber bei einem Punkt bin ich mir sehr sicher: Man kann Steve Jobs nicht übertrumpfen mit einem plumpen Browser und einem Flash-Plugin.
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